In Therapie
26. Oktober 2009 9:00 Uhr
Mein erster Tag und ich kam viel zu spät. Was für ein Einstieg. Ein Umstand, den ich mir nicht verzeihen konnte. Nun war ich da und wurde sehr lieb aufgenommen. Ich lernte allerlei Menschen kennen. Meine Therapeutin, meinen Co-Therapeuten, meine Ärztin und natürlichden Oberarzt. An diesem Tag habe ich immer wieder das Gleiche erzählt. Man kommt als unbeschriebenes Blatt daher und die Therapeuten müssen erst einmal hinter die oft verzwickte Logik des Zwangs oder der Zwänge kommen. Bei mir dauerte dies vier Wochen zumal auch die Depression zunächst im Vordergrund stand. So hatte ich in den ersten vier Wochen soweit nichts zu tun, als zur Ruhe zu kommen. Ich fühlte mich wie jemand, der von einem fahrenden Karussell abgesprungen ist. Eben noch im täglichen Stress und jetzt war es ruhig und alles stand still. Viel neue Gesichter, eine fremde Umgebung und ein ganz neuerTagesablauf. Es waren viele neue Eindrücke, die es erst einmal zuverarbeiten galt.
Endlich normale Menschen
Doch eines hatte bald ein Ende und da kam ich schnell dahinter, denn man brauchte sich nicht verstecken und nicht zu verstellen. Ich erkannte Verhaltensweisen bei anderen wieder, die von mir gut kannte und wenn ich den einen oder anderen Patienten dabei beobachteten konnte, wie er eine Bewegung wiederholt oder ein paar Mal in den Raum hinein und wieder hinaus geht, wusste ich ganz genau, was in diesem Menschen vorsicht geht und schnell empfand ich keine Scham mehr, wenn es mir dann auch ab und zu „passierte“. Hier waren Zwänge ,Ängste und Depressionen kein Tabu mehr. Nirgends geht man so offen und normal damit um. Und so manch einer von den „Normalos“ würden über den Humor, der hier herrscht sehr erschrocken sein. Denn Redewendungen wie „sei doch völlig zwanglos“ oder „keine Angst“, haben hier einen völlig anderen Stellenwert. Oder wenn man denn einmal auf das Örtchen muss, heißt es eben „Ich bin mal für kleine Psychopathen.“ Freud und Leid leben hier dicht an dicht. Eben noch hast du noch mit den Anderen ausgelassen gelacht und schon kam die Nächste völlig verweint und aufgelöst von einem einem Gespräch. Es kam auch vor, dass die Stationstür aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde. Das waren schon bedrückende Momente, die jeden vor Augen führte wo man sich befand und es eben hier anders zugeht, wie auf anderen Stationen. Man war immer für den Anderen da und tröstete sich gegenseitig oder tauschte Erfahrungen aus. Es gab aber auch Tage, die so ausgelassen waren, dass wir vergessen hatten wo wir waren. Aber eine Eigenschaft hat mich am meisten beeindruckte. Das ist die Fähigkeit aller Patienten, das Leben von einem anderen Standpunkt zu betrachten.
Zwischen die Lücken im Zaun zu schauen und den Hintergrund zu erkennen. Alle hatten eine enorme Sensibilität Dinge zu sehen und zu erfassen, die für viele einfach zu alltäglich sind. Wir alle hatten bitter erfahren müssen, was die Gesellschaft aus einem machen konnte und wie mit einem umgegangen wird, der nicht mehr Schritt halten kann. Erbarmungslos wird man übergangen, denn bedingt durch Leistungsdruck, Profitdenken und immer weniger Aufklärung in einer immer mannigfaltigen Medienwelt, stehst Du irgendwie abseits. Ein Querschnitt durch die Berufe der Patienten zeigt, dass diese Krankheit nichts, aber auch überhaupt nichts, mit dem sozialen Umfeld, dem Bildungsgrad und dem Alter zu tun hat. Wir hatten Kaufleute, Sozialpädagogen, Techniker, Studenten , Lehrer, Zugführer, einen Arzt, Informatiker, Leute aus der Chefetage und den „einfachen“ Angestellten. Der jüngste Patient war 18 und der Älteste 73. Wir waren der Beweis dafür, dass es jeden erwischen kann. Für mich war es schon jedes Mal eine kleine Therapie mit den Patienten zu reden. Allein zu erkennen, dass man wirklich nicht alleine ist, denn genau das hatte ich all die Jahre gedacht.
Im Laufe der Therapie kam die Zwangs-Info-Gruppe, zu der ich eingeladen war. Hier wurde erklärt, wie eine Verhaltentherapie ablaufen würde. Zunächst wurde die Gruppe aufgefordert über die einzelnen Zwänge zu reden. Alles freiwillig – gezwungen wurde niemand. Aber wer konnte mal wieder seine Klappe nicht halten ? Richtig ! Ich hätte lieber ruhig bleiben sollen, denn ich musste als Beispiel herhalten und was ich zu hören bekam, gefiel mir gar nicht. Ich zitiere wörtlich: “ Sie, Herr P., Sie müssen auf einen Friedhof gehen, Grabsteine umarmen und rufen ich sterbe ich sterbe.“
Okay –das war es. Wo ist der Ausgang ? Nur noch weg hier. Weit weit weg!
Und tschüss !
Natürlich wusste man um meine Ängste und es wurde auch genau beobachtet wie bei mir der Vorhang fiel. Ich wurde erst einmal beruhigt und es wurde mir versichert, dass der Friedhof noch in weiter Ferne liegt. Ich wurde weiter vorbereitet und ich las auch ein sehr interessantes Buch aber das Thema. Nein ich habe es verschlungenund langsam wurde mir klar, was von mir verlangt wurde.
....weiter geht's mit "Übungen".